Kennys Tod

Das Rudel verliert seinen Häuptling. Wie wirkt sich das aus bei den verbleibenden Grenzgängern? Der König ist tot, es lebe der König! Fußkontrolle – bitte was ist Fußkontrolle? Der Rudelfrieden wird instabil. Gegenmaßnahmen. … … …

Kenny ist tot. Am 11.12.2019, an einem Vollmondtag, ist er über die Regenbogenbrücke gegangen. Cosima hat ihren Partner verloren. Charis ihren Spielkumpel und Aykhan seinen erziehenden Vater. Und alle das Rudeloberhaupt.

Charis wirkte ein paar Tage bedrückt. So als hätte ich ihren letzten Welpen weggegeben. Aber es war Kenny, der verschwunden war. Ihr großer Freund und Spielkumpel, mit dem sie ungefährdet an seinem Beutestock rumzerren durfte. Kennys dröhnendes Rabaugrrrrhauhau hatte Charis schnell als harmlos erkannt und die Einzige die dieses wilde Spiel zwischen Charis und Kenny zuverlässig störte war Cosima, die diese ausgelassene Spielstimmung zwischen den beiden nicht mochte. Immer rief sie mit Drohgebärden ihre kleine Schwester zur Ordnung.

Cosima forderte nie Kennys Überlegenheit beim Beutefassen heraus. Aber Kenny war für sie mehr als ein Kumpel. Erst nach seinem Tod wurde sichtbar, wieviel Sicherheit er ihr in der Position als Leithündin gegeben hatte. Kenny und Cosi waren das Elternpaar, auch wenn Charis lebensabschnittsweise sex. Partnerin für Kenny war.

Aykhan nimmt Kennys Tod ganz opportunistisch: Der König ist tot, es lebe der König! An Kennys Todestag hatten wir Vollmond. Der Name Aykhan kommt aus dem türkischen und bedeutet Mondkönig. Welch Zufall.

Nach Kennys Tod dauerte es ungefähr 10 Tage bis Cosima sich entschloss Aykhan, ihrem fast 3 jährigem Sohn die Partnerschaft anzubieten. Sie schmiss sich vor ihm auf den Rücken, wälzte sich hin und her wie sie dies sonst nur bei ihrem Kenny getan hatte um dieses zarte Beinchenbeissen-Spiel herauszufordern. So war es immer abgelaufen zwischen ihr und dem Kenny-Bär. Aber Aykhan blickte nicht durch und verstand nichts.
Aykhan ist Cosimas Einzelwelpe aus dem Frühjahrswurf 2017. Typisch verwöhntes Einzelkind. Cosima ließ ihm restlos alles durchgehen. Erzogen hat ihn Kenny und auch von Charis gab es klare Ansagen wenn er Grenzen überschritt. Aykhans Naturell ist dominant. Er trägt seine Rute meist rasseuntypisch aufgerichtet mit leichtem Schwung über dem Rücken. Seit seinem 7. Lebensmonat provoziert er Cosima in ihrer Führungsrolle durch ständige Unverschämtheiten. Seine Erziehung lag dann bei mir um seine Rempeleien zu maßregeln.

Es ist eine Gradwanderung von Einflußnahme und “Lass-sie-unter-sich-ausmachen”. Kenny hat Respekt für sich eingefordert, aber nicht für Cosima. Ich fordere auch Respekt für mich ein. Kann es aber nicht mit ansehen, wie Cosima einen Salto schlägt weil der Rüpel sie mit Vollgas seitlich in die Hüfte kickt und Cosi danach den restlichen Tag lahmt. Verdammt, warum wehrt sich das Mädel nicht? Selbst die unterordnungsbereite Charis wehrt sich. Cosima tut es einfach nicht.

Bis jetzt fand ich es immer ganz bequem, wenn Aykhan sich zwischen Cosi und Charis schob um deren ritualisierte Zwistigkeiten abzustellen. Brauchte ich mich nicht kümmern wenn mir die Töne zu laut wurden. Aber eindeutig nahm er immer Partei für Charis ein und versuchte Cosi zu dominieren. Na klar, Cosi ist die Chefin, wenn eine Position begehrenswert ist, dann ihre.

Nun ist es über zwei Monate her, dass Kenny fehlt. Seit 5 Tagen verändert sich Cosima auffällig. Sie ist unsicher, nimmt keinen Kontakt mehr zu Besuchern auf, folgt mir und dem Rudel nicht mehr ohne persönliche Aufforderung. Sie zieht sich zurück. Nimmt nicht mehr teil. Erst dachte ich sie ist vielleicht krank. Aber Temperatur stimmt, Schmerzen hat sie nicht. Ich taste alles ab, sie genießt die Zuwendung.
Was hat mein sensibles Wölkchen, mein Seelenhund?

Ich werde achtsamer in der Wahrnehmung der Rudeldynamik. Aykhan blockt Cosima vermehrt mit fixierendem Augenkontakt um damit anzukündigen ihr gleich den Weg abzuschneiden. Selbst im Haus schneidet er sie und bremst ihr Laufmuster aus. Charis hält sich dichter an Aykhan und bekommt ihrer Schwester gegenüber aufgestellte Rückenhaare. Ihre lebenslang leicht seitlich eingedrehte Rute trägt sie plötzlich gerade auch wenn sie sie aufrichtet. Cosima geht nicht mehr in den Hof wenn Aykhan und Charis vorgerannt sind. Beim Auenspaziergang versucht Aykhan jeden Moment Cosima mit Unverschämtheiten zu dominieren. Er springt in ihre Fußspur so dass sie sich abwenden muß. Er fixiert sie ständig und schneidet ihr mit Tempo den Weg ab. Beim Vorbeirennen kläfft er ihr lauthals ins Ohr. Stöbert Cosi in einem Mauseloch jumpt Aykhan ihr regelrecht auf die Füße und drängt sie auf Seite. Fußkontrolle! Cosi kann öfter nicht mehr dort auffußen wie geplant. Es ist offensichtlich und es reicht.

Ich glaube nicht, dass Cosima depressiv wird weil Aykhans Frechheiten überhand nehmen. Vielmehr hat sie keine Möglichkeit sich gegen Charis zu behaupten da Aykhan sofort Partei einnimmt und Cosi ihrem Sohn nicht maßregeln mag.
Kenny, der sich aus dem Weibergezänk konsequent raushielt, war seinen Mädels gegenüber immer loyal. Da er sich seiner Stärke bewußt war brauchte er keine Machtspielchen und Provokationen. Das was jetzt im Rudel abgeht sind Seilschaften zwischen Aykhan und Charis. Zwei gegen Cosi, die sich ohne Kenny wohl mehr auf mich verlassen muß.

Regulierende Maßnahmen:

Ich beschließe, Aykhan wieder auf seine spätpupertäre Position zu verfrachten.
Wenn die Hunde aus dem Wohnzimmer heraus starteten um durch den langen Kasernenflur in den Hof zu kommen gab es oft ein Wettrennen wer zuerst im Hof ist und als erster die Reviergrenze verbellen kann. An den Engstellen kam es in letzter Zeit vermehrt zu rauhen Tönen und Geschubse. Solange Kenny präsent war, war das kein Thema. Allein sein Stimmvolumen sorgte dafür, dass die anderen sich zurücknahmen. Nun dürfen sie Einzeln mit einigen Sekunden Abstand nach draußen. Cosi zuerst. Aykhan zuletzt.

Beim Freigang darf Aykhan den ersten Kilometer hinter mir gehen, derweil die Mädels vorauslaufen. Cosima vergewissert sich immer wieder mit einem Blick zurück, ob Aykhan wirklich nicht angerast kommt um sie zu schneiden und Charis zu unterstützen. Sobald Aykhan im Freilauf die alte Masche abspulen will und Cosi fixiert, ankläfft, ihr Fußfolge kontrolliert durch hineinspringen bekommt er einen verbalen Rüffel und darf eine Weile hinter mir gehen. Er kapiert sehr schnell.

Bei der Vergabe von Streicheleinheiten achte ich vermehrt darauf Aykhan und Charis zurückzuweisen wenn ich mit Cosima zugange bin. Es gibt absolut kein Reindrängen und sich in den Vordergrund schieben. Natürlich gilt das auch für Cosima wenn andere meine Zuwendung bekommen.

Aykhan lernt sehr schnell und ist überaus folgsam solange er meine Achtsamkeit wahrnimmt. In der Aue ist er etwas desorientiert. Er darf nicht mehr “Hüten”, also Umrunden und Bewegungsrichtungen der Hündinnen beeinflussen, rempeln sowieso nicht. Alternativ entfernt er sich nun im Vorauslauf weiter als gewöhnlich und nimmt Spuren auf. Um das zu begrenzen bekommt er von mir mehr Aufmerksamkeit durch Beutespiele und Gehorsamsspiele.
Charis fügt sich wie es kommt. Ihre Frechheiten Cosima gegenüber sind wieder auf ihr normales Maß geschrumpft.
Cosima ist froh nicht mehr körperlichen Rüpeleien ausgesetzt zu sein, die ja keine Angriffe aber sich steigernde Unverschämtheiten waren. Ihr Vertrauen in mich und meine Aufgabenerfüllung den Rudelfrieden stabil zu halten hatte einen Knacks bekommen, da ich die Wichtigkeit von Kennys Präsens unterschätzt hatte. Nach drei Tagen veränderter Abläufe und neuer Rituale gewinnt Cosima an Sicherheit. Sie entspannt sich, wird wieder lebhafter und übernimmt aktiv ihre Position als Leithündin.
Heute Morgen bot Cosima Aykhan wieder die Partnerschaft an durch vor ihm auf den Rücken schmeißen sich hin und her wälzen und Aufforderung sie zu bespielen. Dies ist keine Unterwerfungsgeste. Sie zeigt dass sie seiner Gutmütigkeit vertraut und möchte ein bisschen intimes Spiel. Aykhan blickt nicht durch. Charis muss ich zurückflöten, da sie sich unfreundlich versteift und auf Cosi zugeht um eine Position über sie zu bekommen. Cosi würde dann erfahrungsgemäß aufspringen und ihrer Schwester eine Ansage machen.

Das Leben geht weiter. Ich lerne nicht aus. Rudeldynamik ist spannend.

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5 Antworten auf „Kennys Tod“

  1. Boah Sabine, ist das spannend. Ich glaube, ich habe beim Lesen nicht geatmet 😉 Es ist erstaunlich, wie das Rudel auf den Verlust des alten Königs reagiert und welche Konsequenzen das für die Leithündin gehabt hätte, wenn Du nicht Kennys Rolle übernommen hättest. Das Aykhan mal ein starker Rüde werden würde, hattest Du ja schon früh bemerkt. Würdest Du das Rudel sich selbst überlassen, wäre das Cosis Untergang. Cosi die Sanfte, braucht Dich und Deine Unterstützung, um ihre Rolle weiterhin vertreten zu können.
    Toll beobachtet und toll geschrieben. Ich bin voll bei Dir und freue mich schon auf den nächsten Beitrag….
    Liebe Grüße
    Eva

    1. Hi Eva, ja Du hast Recht. Cosi braucht das Gefühl der Rückendeckung von mir. Charis ist mental überhaupt keine Führungspersönlichkeit, auch wenn sie durch das Alter und die Mutterschaften stärker geworden ist. Alleine gegen Cosi hätte sie keine Erfolgsaussichten die Führung zu übernehmen. Liebe Grüsse von Sabine

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